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11.04.10
Der hohe Preis der Studentenbewegung für mich - oder der Dolch im Gewande
Ich habe der Auseinandersetzung mit Roberto (indirekt) wirklich eine Menge zu verdanken, aber daß ich jetzt auch noch mein Grundproblem mit seiner Hilfe geklärt bekomme, darauf wäre ich nie im Leben gekommen.
Ich sehe das ungefähr so: Roberto gehört zu den Leuten, die mit mir zu tun haben. Wir machen zusammen eine mathematik-philosophische Arbeitsgruppe. Doch regelmäßig gab es Streit. Nun habe ich erkannt, daß das eigentliche Problem darin liegt, daß er ein AUF ist (d.h. argumentationsunfähig). Überhaupt wurde mir durch ihn erst jetzt bewußt, daß es solche AUF-Menschen (sogar mit Abitur und Hochschulabschluß) tatsächlich gibt.
Ich denke, Roberto merkt schon, daß es ihm gut tut, wenn er mit mir ab- und zu zusammen ist. Vermutlich ist es „das Leben“, das er spürt – denn ich gehe in der Tat den schmalen Weg, der zum Leben führt. Doch er möchte gerne den breiten Weg des gesellschaftlichen In-Seins gehen und kann schon allein deswegen meine gesellschaftskritischen Ansichten nicht nachvollziehen. Außerdem kann er als AUF sowieso nicht meine Argumentationen verstehen. – Aber das tatsächliche Leben, das sich im Zusammensein mit mir abspielt, das scheint er ein Stück weit zu genießen.
Das ist dann eine merkwürdige Situation: diese Leute kommen mit freundlichem Gesicht zu mir, genießen das Leben (teilweise) mit mir, haben jedoch ‚den Dolch im Gewande’: Irgendwann beleidigen sie mich und/oder wollen mich psychisch kastrieren. Nicht mit Absicht – sondern, weil sie nicht anders können. Denn sie wollen ganz ‚normal’ den breiten Weg gehen, der - was sie jedoch nicht wahrhaben wollen - zur Destruktion führt. Da sie nicht wirklich denken (d.i. argumentieren) können, merken sie den Widerspruch gar nicht, daß sie einerseits sich vom Leben angezogen fühlen, andererseits aber das Leben faktisch bekämpfen.
Wieso wird dadurch mein Grundproblem endlich geklärt?
Zu der Zeit, als ich noch meine ungeheure poetische Gefühlsfähigkeit hatte, schrieb ich ca. 1965 ein Gedicht über „Kaltes Außenstehen“. – Das hat die Sache haargenau auf den Punkt gebracht.
Was ich damals nicht wußte war, daß dieses Kalte Außenstehen was Gutes war, keineswegs was Schlechtes. Denn in einer Welt, in der die Meisten den Weg der Destruktion gehen, muß man doch als (anständiger) Mensch kalt außenstehen! – Wenn man nämlich nicht kalt außensteht, dann beginnt etwas, wofür ich einen hohen Preis bezahlen mußte, was ich jetzt als den hohen Preis der Studentenbewegung für mich ansehe.
Denn im Gefolge der Studentenbewegung fühlte ich mich ‚in’. Alle möglichen Typen hatten lange Haare, ich konnte mit Weibern schlafen, viele junge Leute hatten die richtigen Ansichten, mochten die gleiche Musik wie ich, usw. Alles verwandelte sich zum scheinbar Guten: Es war The Dawning of the Age of Aquarius. – Zu dieser Phase der Euphorie zählte auch meine Große Liebe zur Schönen Ildiko.
Tatsächlich war ich jetzt mit einer Menge Menschen verwoben, mit denen ich früher nie was zu tun gehabt hätte. Vor allem, wenn ich an die Universität denke. Oder an meine Hippie-Zeit.
So. Und jetzt kommt die Erleuchtung nach über 40 Jahren: Die hatten bei aller Freundlichkeit, und sogar Liebe, fast alle den Dolch im Gewande! Speziell Ildiko, bei der es für mich besonders schmerzhaft war. Zum Schluß auch noch mein erwachsener Sohn, von dem ich dann schließlich auch noch innerlich Abschied nehmen mußte. (Wie überhaupt von allen antiautoritär erzogenen Kindern – das muß man sich mal klar machen!)
Besonders deutlich auch, wenn ich an meine Erfahrung bei Gründung der Partei „Die Grünen“ zurückdenke.
Das ist das ganze Geheimnis meines Gefühlsverlustes: ich wollte mich ‚in’ fühlen und identifizierte mich mit meinen Verächtern. – So eine einfache Erklärung ist das! D.h. ich habe mich dadurch per Identifikation selber negiert. Es kömmt aber darauf an, sich von denen zu distanzieren – am Besten diese stellen die Distanzierung selber her, dann hat man von vornherein seine Ruhe (ich denke z.B. an Barbaras Bruder Friedrich oder an meinen erwachsenen Sohn Florian).
Denn wie kann man denn positive Gefühle haben, wenn man sich insgeheim selber negiert, weil man sich mit seinen Verächtern identifiziert?
Was kann ich dagegen tun?
Zunächst einmal mich von solchen Leuten lösen, wo definitiv klar ist, daß Beleidigungen oder Kränkungen stattgefunden haben. – Weitershin mit Leuten, die offenbar nicht zu meiner Identität gehören, wo aber sozusagen Toleranz (Waffenstillstand) herrscht, nicht mehr argumentieren! Das ist grundfalsch, wäre Perlen vor die Säue geschmissen, weil ehrliche Argumentation schnurstracks auf die Identität des Lebens hinführt, womit diese Leute doch nicht viel anfangen können. Statt dessen versuche ich jetzt, Fragen zu stellen: ich will irgendwas wissen aus ihrer Realität, aus ihrem Können, was sie ja eigentlich auch gerne erzählen. (Vielleicht merken sie aber insgeheim auch, daß ich sie dadurch nicht wirklich für voll nehme. Tja, alles auf einmal kann man nicht haben).
Die Sache mit den zwei Pforten ist offenbar dermaßen fundamental, daß auch die antiautoritäre Erziehung nix dagegen ausrichten kann. Bestenfalls vielleicht ergibt sich eine (partielle) Milderung der Destruktivität. Wenn man sich jedoch Bevölkerungsexplosion, Klimakatastrophe usw. anschaut, fragt es sich, ob nicht das Maß der Destruktivität insgesamt anwächst.
Das Wichtigste ist vielleicht, daß ich mich wirklich und ernsthaft von diesen Mehrheits-Leuten löse. – Aber ohne Beweis , daß sie einem schaden wollen, daß sie mich verachten, schaffe ich das nicht. – In diesem Verhängnis stecke ich jetzt. Das ist womöglich jetzt immer noch Der hohe Preis der Studentenbewegung für mich.
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